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Monuments Men – Ungewöhnliche Helden

Die monuments men waren im Durchschnitt 40 Jahre alt. Die meisten hatten Familie und waren in ihren Berufen erfolgreich. Sie hatten keinen Grund, sich freiwillig für diese gefährliche Aufgabe zu melden. Ein Amerikaner und ein Brite wurden getötet, als sie deutsche Kunstwerke schützen wollten. Viele von ihnen hatten in Europa studiert oder stammten von dort. Sie wollten das, was sie gelernt hatten, dafür einsetzen, eine kulturelle Welt zu erhalten. Wie viele Besucher – vor allem deutsche – wissen heute schon, dass die monuments men beispielsweise die Sammlungen des Beethoven-Hauses in Bonn oder der grossartigen Berliner Gemäldegalerie geschützt und zurückgebracht haben? Wer steht in Berlin im Neuen Museum vor der Nofretete und weiss, dass sie von alliierten Soldaten in einem Salzstock bei Merkers gefunden und dann nach Wiesbaden in den Central Collecting Point gebracht wurde, wo Ken Lindsay jahrelang auf sie aufpasste?

Dass auch US-Soldaten Raubkunst mit nach Hause genommen haben, ist bislang ein Tabuthema.

Viele Soldaten haben Kriegssouvenirs nach Hause geschickt oder mitgebracht, meist Dinge, die einfach herumlagen oder deren Bedeutung man nicht kannte oder kennen wollte. Heute wissen wir, dass darunter wichtige Kulturgüter waren. Wenn die Soldaten oder ihre Erben diese Bedeutung erkennen, können sie uns beauftragen. Das rechnen wir ihnen hoch an. Bei wissentlich gestohlenen Dingen gilt: Diebstahl verjährt in den USA nicht, im Unterschied zu vielen europäischen Staaten, in denen man nach einer Verjährungsfrist sogar Eigentum an Kriegsraubgut erwerben kann. In den USA riskiert man bei einem Verkaufsversuch eine Haftstrafe. Hunderttausende Objekte sind noch immer verschwunden. 

Wie reagiert man in Deutschland darauf?

Äusserst herzlich. 2007 wurde eines der sogenannten Linz-Alben ans Deutsche Historische Museum in Berlin zurückgegeben. Es ist eines von 31 Fotoalben, in denen Hitler die Ankäufe fürs geplante Grossmuseum in Linz präsentiert wurden. Ein amerikanischer Soldat hatte es aus Hitlers Berghof am Obersalzberg mitgenommen – um seiner Familie zu Hause zu beweisen, dass er wirklich in Hitlers Haus war. Mit einer Übergabezeremonie im US-Aussenministerium wurde darauf hingewiesen, dass noch elf Alben fehlen. Es wird angenommen, dass es sie noch gibt in den USA. Es wird ein Weg aufgezeigt, wie gestohlene und verlorene Kulturgegenstände nach Hause zurückkehren können.

Der wahre Monuments Man

Harry Ettlinger, in Karlsruhe geboren, vor den Nazis in die USA geflohen, wurde zu Kriegsende wieder nach Deutschland geschickt, um als „Monuments Men“ geraubte Kunstwerke zu retten. Da Ettlinger inzwischen kein Deutsch mehr spricht, hat ihn Sigrid Fischer auf Englisch interviewt, hier die Übersetzung:

Sigrid Fischer im Gespräch mit Harry Ettlinger der letzte noch lebende „Monuments Man“ 

Harry Ettlinger, heute 88 Jahre alt, auf der Berlinale. 10.02.2014

Sigrid Fischer: Herr Ettlinger, haben Sie sich im Film „The Monuments“ Men wiedererkannt?

Harry Ettlinger: Ja und nein. Der Darsteller Dimitri hat etwas anderes gemacht als ich damals. Ich war die meiste Zeit im Büro beschäftigt, ich habe Dokumente geprüft und Leute interviewt. Den ersten Job, den ich hatte, war Heinrich Hoffmann zu verhören, den persönlichen Fotografen Hitlers. Captain Rorimer hat mich mitgenommen nach Adelshofen und Neuschwanstein, wo sie viele der Kunstschätze lagerten, die später nach Paris zurückgebracht wurden. Schließlich kam ich erst gegen Kriegsende zu den Monuments Men, ich weiß nicht mehr genau, ob es der 29. oder der 30. April oder der 1. oder 2. Mai war.

Fischer: Das heisst, was wir im Film sehen, ist spannender als es Ihr Job war?

Ettlinger: Natürlich, das sind ja Hollywoodschauspieler, das bin ich nicht.

Fischer: Ich meine, wie die ihren Job erledigen ist spannender, das ist eben ein Film.

Ettlinger: Ja, man sieht nur die Schlüsselmomente ihrer Arbeit, aber nicht, was noch alles dazu gehörte. Ich fahre da einen Jeep, ich konnte aber nicht mal Auto fahren. Ich war die meiste Zeit in ein oder zwei Salzminen und habe die Kisten mit den Kunstschätzen registriert, die Deutschland nicht gehörten. So habe ich einen frühen Teil meines Lebens in einer Mine verbracht, das hätte ich vorher auch nicht gedacht. Das war interessant, denn Salzminen sind keine Kohleminen, da drin ist ganz klare Luft, 18 Grad Temperatur, also sehr angenehm. Da unten haben sie Fabriken für die Massenproduktion von Flugtriebwerken angelegt, die jüdische Sklaven aus Ungarn fertigen mussten. Und wenn sie erfolgreich gewesen wären, hätte die deutsche Luftwaffe alle unsere Flugzeuge abschiessen können und der 2. Weltkrieg hätte ein bis zwei Jahre länger gedauert.

Fischer: Sie waren ja sehr jung, haben Sie damals überhaupt verstanden, warum es wichtig sein könnte, Kunst zu retten?

Ettlinger: Überhaupt nicht, das war mir nicht klar. Aber wenn man ein Soldat wird, ist man kein Kind mehr, man wird schlagartig erwachsen. Aber damals wurde einem nicht viel erklärt, es hiess einfach: Du bleibst jetzt hier und machst das. Warum? Vergiss es. Und sie hatten mich ja aus dem Kampfgeschehen genommen, drei von acht Kameraden waren schon tot, fünf verletzt, und das wäre mir auch passiert, wenn ich im Kampfeinsatz geblieben wäre. Wenn einem dann ein Job angeboten wird – ich hatte mich ja auch freiwillig gemeldet, als Übersetzer für Deutsch – wenn dann jemand sagt: Mach den und den Job, dann macht man das. Und so bin ich zu den Monuments Men gekommen.

Fischer: Haben Sie von Cornelius Gurlitt gehört, in dessen Münchner Wohnung viele Gemälde unbestimmter Herkunft lagern?

Ettlinger: Ja.

Fischer: Was haben Sie gedacht, als Sie davon erfuhren?

Ettlinger: Die Monuments Men hatten damals das Gefühl, dass möglicherweise eine dreiviertel Million wertvoller Gemälde da draussen in der Welt irgendwann noch auftauchen werden. Und als ich davon hörte, dachte ich: Da ist der Anfang. Und man kann mit noch weiteren solcher Geschichten rechnen, da wird noch mehr auftauchen bei den nächsten Generationen.

Fischer: Sie haben Deutschland mit Ihrer Familie verlassen, als Sie 12 oder 13 waren?

Ettlinger: Mit 13. Am Tag nach meiner Bar-Mizwa.

Fischer: Ok, Irgendwann haben Sie Ihren Frieden gemacht mit den Deutschen. Haben Sie vergeben, was sie den Juden angetan haben?

Ettlinger: Lassen Sie es mich so sagen: Bei meinem Job, die verlorenen Kunstwerke aus der Salz - Mine zu bergen, hatte ich mit vielen Deutschen zu tun. Und ich habe festgestellt, dass wie überall auf der Welt Menschen unterschiedlich sind. Unsere Körper sind gleich, ausser dass es zwischen Frauen und Männern grosse Unterschiede gibt, das will ich jetzt nicht vertiefen. Aber wir verhalten uns alle unterschiedlich. Das ist meine Erfahrung. Weil mir einige Deutsche viel Respekt entgegenbrachten. Ich war ihr Vorgesetzter. Da war dieses „jüdische Kind“, und einige von Ihnen haben meine Anweisungen aufgeführt. In Kochendorf hatte ich es mit einem Nazi zu tun, ich merkte, dass er in mir den jüdischen Soldaten sah, nicht den amerikanischen. Wir hatten einen geschäftlichen Umgang: Du hast Deinen Job, ich habe meinen. Belassen wir es dabei. Ich wusste genau, dass ihm das gar nicht gefiel, dass ein Jude ihm sagte, was er zu tun hatte, das war mir völlig klar. Aber dann ist das eben so.

Fischer: Herr Ettlinger, jetzt haben Sie George Clooney kennen gelernt, erklären Sie mir mal, was das ist mit ihm. Warum drehen alle durch, sobald er auftaucht?

Ettlinger: Das müssen Sie mir erklären, Sie als Frau. Denn jedes Mal, wenn ich seinen Namen erwähne, egal bei welcher Frau, gurrt es und ein grosses Lächeln erscheint auf dem Gesicht. Er ist der beliebteste Mann auf der Welt. Er hat dieses, was ich nicht erklären kann, weil ich keine Frau bin, aber wenn ich den Namen erwähne. ...Ich habe nie zuvor jemanden wie ihn getroffen. Was ist das?

Fischer: Charisma – die einen haben das, die andern nicht.

Ettlinger: Ja, Sie und ich haben es nicht.

Fischer: Tja, aber durch seinen Film sprechen jetzt alle über die Monuments Men. 50 Jahre lang hat das niemand getan, das ist doch merkwürdig, oder?

Ettlinger: Ich finde gut, dass jetzt endlich bekannt wird, was einige Leute getan haben, um ihre Kultur zu bewahren, die zu unserem Leben gehört. Heute ist das normal für uns. Wir sitzen nicht mehr Räumen mit kahlen Wänden, sondern wir wollen sie angenehm gestalten. Das ist unsere Art, ein friedliches Leben zu führen. Nicht, indem wir uns gegenseitig bekämpfen und umbringen. Das ist kein gutes Leben. Das haben wir gelernt. Und was wir immer noch lernen müssen, um ein gutes Leben zu führen, ist uns gegenseitig mit Respekt zu begegnen.

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